78_2018

FUSIONEN: BILANZ IN GLARUS

sich eine Fusion aufgedrängt, sagt Kun- dert. Dass es nicht wie von der Regie- rung beantragt zehn Gemeinden wur- den, kamunerwartet. Doch die Regierung liess sich nicht erschüttern, sondern liess sich weiter durch Jean-Claude Kleiner von der OBT St. Gallen beraten und be- gleiten; Kleiner stand von Beginn an als Fachperson Pate. Rudolf Galliker sorgte als Fachmann für die Kommunikation. «Drei starke Gemeinden» Denn: «Es gab schweizweit kein ver- gleichbares Modell. Wir konnten uns an keinenVorbildern orientieren», sind sich Marianne Lienhard und Urs Kundert ei- nig. Die Regierung habe nach dem Ent- scheid der Landsgemeinde umgehend die strategische Leitung der Gemeinde- strukturreform übernommen, die 2011 in Kraft treten sollte. Alles unter dem Leit- spruch: «GL 2011: drei starke Gemein- den – ein wettbewerbsfähiger Kanton.» Es wurden zwei parallel arbeitende Pro- jektgruppen gebildet. Die Gruppe Kan- ton war für die Kantonalisierung des Sozial- undVormundschaftswesens so- wie für die Erarbeitung von Rahmenbe- dingungen für die neuen Gemeinden, die Koordination der Umsetzungsarbei- ten und das Controlling zuständig. Die Projektgruppen Glarus Süd, Glarus und Glarus Nord waren für die konkrete Ausgestaltung ihrer Gemeinden verant- wortlich. «Ausserordentliche» gibt Schwung Im Juni 2007 wurden Unterschriften ge- sammelt für eine erneute Abstimmung über die Fusion. Doch die ausserordent- liche Landsgemeinde am 25. November 2007 bestätigte mit einer Mehrheit von zwei Dritteln den angepeilten Zusam- menschluss zu drei Gemeinden und gab vor, dass die Fusion bis Ende 2010 mit den neuen Strukturen umzusetzen sei. Beschwingt durch diesenVolksentscheid, wurde zielstrebig weiter gearbeitet. Der Zeit- und Massnahmenplan enthielt zwölf Rubriken respektive elf «Haupt- baustellen» sowie die Erfassung der Meilensteine, welche die Fortschritte und Erfolge der Arbeiten aufwiesen. Ne- ben dem Finanz-, Schul- und Forstwe- sen, der Informatik und der Stellenbörse galt es auch andere relevante Betriebe und Einrichtungen wie die Energiever- sorgung, die Alters- und Pflegeheime und die Feuerwehr neu zu organisieren und sinnvoll in die neue Gemeindestruk- tur einzubinden. Nationale Vorgaben machten die Auf- gabe nicht gerade leichter, etwa bei der Harmonisierung der Schulen und dem Projekt «Sonderpädagogische Ange- bote.»

entschieden wird, und ich nicht mehr schnell über den Gartenhag hinweg die Einwilligung der Präsidentin der Schul- kommission erhalte. Die Gemeindever- sammlung ist anonymer. Das ermöglicht ein freieres Abstimmen als früher, als jeder genau wusste, wie der andere ab- gestimmt hat.» Ein jüngerer Mann, der gerade aus dem Ring kommt (dort darf sich nur aufhal- ten, wer im Kanton Glarus stimmberech- tigt oder wie der Bundesrat ein Gast der Regierung ist), sagt kurz und knapp: «Ich bin mit nur drei Gemeinden im Kanton aufgewachsen. Dieser politische Prozess ist zwar noch nicht ganz beendet, aber für mich normal.» Das sieht ein Glarner, der an der Lands- gemeinde Käse verkauft, völlig anders: «Wir wurden nur angelogen. Die Fusion ist einWitz. Jetzt fehlt das Geld für drin- gende Investitionen. Die Personen, die auf der Gemeindeverwaltung arbeiten, kennen den Kanton nicht mehr, haben keinen Bezug zu unserer Heimat.» Ein Besucher der Landsgemeinde outet sich als Heimwehglarner: «Auch wenn ich nicht mehr hier lebe, bin ich sehr stolz auf meinen Heimatkanton. Er ist dank der Fusion fortschrittlich, alles andere als hinterwäldnerisch! Nur dass ich nun Gla- rus-Süd als Bürgerort habe, sticht mir etwas ins Herz.»

18 Millionen Franken für die Strukturreform der Gemeinden

2010 war ein Jahr des Überganges. Auf den 1. Januar wurden die neuen Behör- den angestellt. Um einen möglichst rei- bungslosen Übergang zu schaffen, wa- ren die bisherigen Mitglieder der Behörden bis Ende Juni ebenfalls im Amt. Dieser vorübergehende personelle Mehraufwand schlug denn auch bei den Gesamtkosten der Fusion gewaltig zu Buche, wie Urs Kundert unumwunden eingesteht. Er rechnet, dass das Vorpro- jekt bis zur Landsgemeinde 2006 etwa eine viertel Million Franken kostete. Wann immer möglich und sinnvoll, wurde die Fusion durch Angestellte des Kantons umgesetzt. Gemäss Marianne Lienhard verblieben unter den neuen Strukturen deutlich weniger Behörden- mitglieder imAmt: Nach der Fusion wur- den schlicht weniger Mitglieder benö- tigt, von den Kommissionen bis hin zu den Gemeinderäten. Die Landsgemeinde hatte für die Umset- zung der Gemeindestrukturreform einen Kredit von maximal 18 Millionen Fran- ken gesprochen. Der Ausgleich der un- terschiedlichenVermögensverhältnisse, der dazu diente, dass keine Gemeinde die Schulden einer anderen Gemeinde übernehmen musste, kostete rund zwölf Millionen. Für externe Ressourcen wie juristische und politische Beratungen wurden rund 1,5 Millionen aufgewendet. Dazu gehörten die Ausgaben für die Kommunikation. «Die Bevölkerung, die Behördenmitglieder, aber auch die Mit- arbeitenden der Verwaltungen laufend zu informieren, war sehr wichtig und wertvoll», sind sich Lienhard und Kun- dert einig. Aber: «Die genauen Kosten der Gemeinden kennen wir nicht. Sie dürften sich insgesamt auf zwei bis drei Millionen belaufen.» Der Prozess der Strukturreform ist heute fast abgeschlossen. Die Stimmberech- tigten haben die selben Möglichkeiten wie bisher, sich amGeschehen ihrer Ge- meinde zu beteiligen. Je nach Wohnort müssen sie zu den Versammlungen al- lerdings weiter anreisen als früher, und die Gemeindeverwaltung ist nicht unbe- dingt an ihremWohnort untergebracht. Eine spontane Umfrage an der diesjäh- rigen Landsgemeinde zeigt, dass die Fusion nach wie vor Freund und Feind hat. Eine Lehrerin, die wie alle anderen lieber nicht namentlich genannt werden möchte, sagt: «Heute wird viel professi- oneller gearbeitet, alles ist einheitlicher geregelt. Das ist gut, auch wenn ich nun teilweise länger warten muss, bis etwas Von «professioneller geworden» bis zu «man hat uns angelogen»

Susanna Fricke-Michel

Die drei Glarner Gemeinden.

Bild: zvg.

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SCHWEIZER GEMEINDE 7/8 l 2018

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