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FUSIONEN: BILANZ IN GLARUS

«Die Gemeinden haben seit der Fusion mehr Spielraum»

Die «Scheinautonomie» der Gemeinden hat einem echten Gestaltungs- spielraum Platz gemacht: Das ist die positive Seite der Glarner Fusion. Die Schattenseite: Die Bürgerinnen und Bürger entfremden sich vom Staat.

Gemeinden doppelt geführt wurden. Al- les in allem, mit den Kommunikations- mitteln, die ebenfalls sehr wichtig waren sowie den externen Beratern, mussten für die Fusion inklusive Entschuldung der Gemeinden rund 20 Millionen Fran- ken bezahlt werden. Kein Klacks für einen Kanton, der gerade mal 40000 Einwohner hat. Lohnte sich das wirklich? Lienhard: Ja. Die Gemeinden stehen fi- nanziell nun so stabil da, dass sie etwa öffentliche Räume wie Plätze neu gestal- ten können. Sie haben generell einen grösseren Spielraum. Vor der Fusion konnten die Gemeinden eigentlich nur noch verwalten. Sie konnten fast nur ge- bundeneAusgaben tätigen. Ihre Kompe- tenzen und Möglichkeiten sind nun grös- ser, das sorgt für Aufwind. Eine Befragung durch die HTW Chur ergab zudem, dass die Bewohnerinnen und Bewohner im Grossen und Ganzen zu- frieden sind mit den neuen Strukturen. Die Professionalität habe sehr zugenom- men. Einige beklagen sich aber, dass etliche Angestellte den Kanton gar nicht ken- nen würden. Lienhard: Das hören wir immer wieder. Dass das Personal sein Sachgebiet kennt, ist viel wichtiger, als über unsere Sehenswürdigkeiten Bescheid zu wis- sen. Dafür ist die Tourismusorganisation zuständig. Die Fusion sollte sich auch positiv auf dieWirtschaft auswirken. Nun zeigte al- lein der Gang vom Bahnhof bis hierher zur Zwinglistrasse, dass diverse Laden- lokale leer stehen und auch Geschäfte mit einer langen Tradition demnächst aufgegeben werden. Lienhard: Das ist leider so, entspricht aber demTrend der Zeit und ist ein Phä- nomen, das nicht nur das Glarnerland kennt. Urs Kundert: Es lässt sich schwer sagen, wie sich die Umstrukturierung auf die

Wirtschaft auswirkte. Das wurde nicht untersucht.

Frau Lienhard, was ging Ihnen als Erstes durch den Kopf, als vor zwölf Jahren an der Landsgemeinde die Fusion von 25 Ortsgemeinden zu drei Gemeinden beschlossen wurde? Marianne Lienhard: Es herrschte eine Aufbruchstimmung. Ich war damals Landrätin und habe mich für das Zehner- modell stark gemacht. Als dann klar war, dass die Änderung noch viel einschnei- dender ausfällt, war das ein grosser Ruck. Es war eine riesige Chance, aus alten Strukturen ausbrechen zu können. Es gab kein Tabu mehr, über alles, das den Kanton, die Heimat, betraf, konnte und musste geredet werden. Dank dem Dreiermodell waren alle Gemeinden di- rekt betroffen. Worüber wurde als Erstes geredet? Lienhard: Über dieAufgaben.Wir haben alle Aufgaben der Gemeinden und des Kantons analysiert, hinterfragt und da- nach so verteilt, dass diese Aufgaben so sinnvoll wie möglich gelöst werden kön- nen. Dabei stellte sich oft die Frage, ob der, der bezahlt, auch befehlen kann und soll. Warum war das so wichtig? Lienhard: Mit einer Fusion wird der Auf- gabenkatalog des Kantons und der Ge- meinden nicht kleiner. Die Aufgaben müssen erledigt werden. Wir haben im Rahmen der Neustrukturierung alleAuf- gaben der öffentlichen Hand analysiert und danach bestimmt, wer für was zu- ständig ist. Sinn einer Fusion ist es, Sy- nergien zu schaffen und nutzen. Lienhard: Da wir für die Jahre 2009 und 2010 eine Steuersenkung beschlossen hatten, hatten wir weniger Einnahmen. Der Kanton hat von einigen Gemeinden die Schulden übernommen, damit das nicht die Gemeinden übernehmen mussten, mit denen sie fusionierten. Das kostete zwölf Millionen Franken. Hinzu kam, dass im Übergangsjahr während sechs Monaten mehrere Ämter in den Hat die Fusion mehr gekostet oder hat man bereits Geld gespart?

Wie verlief die Fusion der einzelnen Gemeindebetriebe wie Elektrowerke und Altersheime? Kundert: Sie gestaltete sich schwierig, denn es durfte keineVersorgungslücken geben. Gerade beim Personal war die Verunsicherung sehr gross. Viele be- fürchteten einen Stellenverlust. Kom- plex war die Umstrukturierung auch im Altersbereich. In Glarus Süd ist dieser Prozess noch nicht ganz abgeschlossen. Wir müssen auch die geografischen Ge- gebenheiten berücksichtigen. Die langen Anfahrtswege? Kundert: Auch, aber vor allem die Natur- gefahren. Einigen Ortschaften droht je- weils im Winter zeitweise Lawinenge- fahr. AproposWeg:Wie weit ist Glarus noch vom Ziel entfernt, dass die Fusion Alltag ist? Kundert: Wir sind fast im Ziel, haben nun aber noch eine Hürde zu nehmen: die Raumplanung. Der Bund will, dass wir unsere Bauzonen verkleinern.Wir dach- ten, mit den grösseren Gemeinden lasse sich das besser ermöglichen. Aber das betroffene Land gehört fast ausschliess- lich Privatpersonen. Da sind noch nicht alle Gemeinden am Ziel. Welche positive Auswirkungen der Fu- sion zeichnen sich bereits ab? Kundert: Wir haben alle Aufgaben über- prüft und sinnvoll vergeben. Wir sind dadurch für die Zukunft optimal ge- rüstet. Der Handlungsspielraum der Gemeinden ist viel grösser. Vorher herrschte eine Scheinautonomie. Und die negativen Auswirkungen? Kundert: Die Bürgerinnen und Bürger scheinen am politischen Geschehen in ihrer Gemeinde weniger Anteil zu neh- men. DieVersammlungen sind meistens schlechter besucht, als wir uns erhofft hatten. Je nachTraktandum wird mobili-

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SCHWEIZER GEMEINDE 7/8 l 2018

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