11_2018

DIE LAST DER SOZIALKOSTEN

Brauchen auch Gemeinden bald einmal Sozialhilfe? Viele Gemeinden stossen bei der Finanzierung der Sozialkosten an ihre Grenzen. Das hängt auch davon ab, wie gut der horizontale und der vertikale Kostenausgleich in den Kantonen ausgebaut sind.

eine solche Wohnbaupolitik die Prob­ leme in Nachbargemeinden oder in an­ dere Kantone. «Eine Entlastung im Sinn des Gesamtsystems der Sozialkosten ist damit nicht erreichbar», stellt Ecoplan fest. Ebenso kann die Mehrzahl der Ge­ meinden denArbeitsmarkt nur marginal beeinflussen. Ähnliche Ursachen wie die EcoplanStu­ die nennt die Städteinitiative Sozialhilfe, die die Trends in diesem Bereich seit 15 Jahren untersucht. Ihr Fazit: Es gibt schweizweit dieselben Risikogruppen für hohe Sozialkosten, nämlich: Alleiner­ ziehende und deren Kinder, Paare mit mehr als drei Kindern, Personen mit ge­ ringer beruflicher Qualifikation, arbeits­ lose und ausgesteuerte Personen ab 55 Jahren sowie Ausländerinnen und Aus­ länder mit geringer beruflicher Qualifi­ kation. DieVerteilung dieser Risikogrup­ pen ist regional unterschiedlich. Es kann aber gesagt werden, dass die Sozialhil­ fequoten der Städte im Langzeitver­ gleich konstant geblieben oder sogar leicht gesunken sind, in der Regel als Folge der Bevölkerungszunahme. Aus­ nahmen sind nur Biel und Lausanne, die beide steigende Quoten aufweisen. Wo der Hebel angesetzt werden kann Aktuell versuchen viele Gemeinden durch Verselbstständigung von Infra­ strukturen, beispielsweise durch den Verkauf von Immobilien oder von Pfle­ geheimen, sich finanziell zu entlasten. Immer wieder im Gespräch sind auch PublicPrivatePartnerships, also die Re­ alisierung von Infrastrukturprojekten oder Gemeindeaufgaben in Zusam­ menarbeit mit privaten Investoren oder Leistungsträgern. Michael Käsermann, Leiter Schweiz und Bereichsleiter Mit­ telland des Beratungsunternehmens BDO, sieht für die Gemeinden generell grosse Herausforderungen: «Unbe­ streitbar wird der Druck auf kleine und mittlere Kommunen stetig zunehmen. Das Milizsystem sieht sich mit zuneh­ mend komplexeren Aufgaben konfron­ tiert. Die Anforderungen an die Profes­ sionalität von Behörden undVerwaltung steigen. Parallel dazu sind oft auch die

Die Lage könnte durchaus besser sein. Trotz der flott laufenden Konjunktur kämpfen viele Gemeinden mit Budget­ defiziten. «Nach Schätzungen diverser Gemeindeämter schreiben 25 bis 40 Pro­ zent der Gemeinden rote bis tiefrote Zahlen und stehen damit konstant unter Spardruck.» Das erklärt Sandro Fuchs, Leiter des Zentrums für Public Financial Management der Zürcher Hochschule für angewandteWissenschaften (ZHAW). «Die Gemeindeausgaben sind im Be­ reich der sozialen Sicherheit exponen­ tiell gewachsen», bestätigt Michael Käsermann, Partner und Leiter öffent­ liche Verwaltungen der Berner BDO AG. Der Ausblick zeigt keine Aufhellungen, im Gegenteil. So wird die Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten konti­ nuierlich weiter altern, was sich unmit­ telbar auch in den öffentlichen Haushal­ ten niederschlägt. Der Bund rechnet bis ins Jahr 2045 mit demografiebedingten Mehrausgaben für die Gemeinden im Umfang von 0,4 Prozent des Brutto­ inlandprodukts BIP. Eine Milliarde für Ergänzungs- leistungen, gleich viel wie beim Bund Dabei geben die Gemeinden schon heute rund eine Milliarde allein für Er­ gänzungsleistungen und die Fürsorge aus, ebenso viel wie der Bund. «Die Al­ terung der Gesellschaft wird die Ge­ meinden in den kommenden Jahrzehn­ ten finanziell erheblich belasten, im Wesentlichen durch die Langzeitpflege der über 65Jährigen», sagt auch Chris­ toph Lengwiler, Dozent an der Hoch­ schule Luzern (HSLU).Damit ist klar: Die Budgetprobleme der öffentlichen Hand werden künftig also eher zu als abneh­ men. «Die Gemeinden sind bei den So­ zialkosten zudem immer stärker von Faktoren belastet, die sie nicht oder nur bedingt beeinflussen können. In mindes­ tens neun Kantonen sind die Gemeinden zudem allein für die Finanzierung der Sozialhilfe zuständig», unterstreicht Claudia Hametner, stellvertretende Di­ rektorin des Schweizerischen Gemeinde­ verbandes (SGV). Der Kostendruck als Folge der starken Zunahme der EL und

Sozialhilfeausgaben sei für viele Ge­ meinden bereits Realität. Um diese Be­ lastungen abzufedern, plädiert der nati­ onale Fachverband für Sozialhilfe SKOS für einen wirksamen Kostenausgleich, sowohl horizontal und als auch vertikal (vgl. auch Interviewmit FelixWolffers ab Seite 36). NachAnsicht des SGV wäre ein System gemäss dem innerkantonalen Lastenausgleich ein möglicher Lösungs­ ansatz und ein Instrument, das die ein­ zelne Gemeinde entlasten könnte. Dies sind die Risikofaktoren Exemplarisch für die Lage vieler Ge­ meinden unseres Landes ist die Situa­ tion im Kanton Zürich. Diese Gliedstaa­ ten kommen bei der Finanzierung der Sozialkosten immer stärker an ihre Grenzen, hat eine Studie des Berner Be­ ratungsunternehmens Ecoplan* aufge­ zeigt. Das Beratungsunternehmen hat im Detail eruiert, welche Faktoren einen Einfluss auf die Sozialkosten haben. Es sind dies: • die Sozialhilfequote und Bezüger­ quote von Ergänzungsleistungen • die Haushaltgrösse: Personen, die al­ lein leben, tragen ein signifikant grös­ seres Armutsrisiko • der Ausländeranteil • die Herkunft der ausländischen Bevöl­ kerung • die Bildungsquote • die Arbeitslosenquote DasWissen um diese Ursachen hilft den Gemeinden allerdings kaum weiter. Denn es ist leicht einsehbar, dass sie kaum Möglichkeiten haben, bei diesen soziodemografischen Faktoren den He­ bel anzusetzen. Am ehesten ist laut der EcoplanStudie eine Beeinflussung über den Wohnungsmarkt denkbar. Die Ge­ meinden könnten also Wohnungen im höheren Preissegment anbieten und da­ mit mittelfristig besser verdienende Ein­ wohner anziehen. Allerdings sei die Um­ setzung einer solchen Wohnbaupolitik nicht ohneWeiteres machbar. Zum einen müssten interessierte Investoren gefun­ den werden, zum anderen brauche es auch zahlungskräftigere Mieter und Wohneigentümer. Zudem verschiebt

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SCHWEIZER GEMEINDE 11 l 2018

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