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POLITIK

Wissen, was die Bürger wollen Neu ist das Modell der Zukunftswerkstatt nicht. In Zeiten sinkender Beteiligung ist es jedoch ein Mittel, der Bevölkerung frühzeitig den Puls zu fühlen und so Ideen und Vorschläge aufzunehmen. Die Erfahrung aus Ebnat-Kappel.

Auf Gemeindeebene ist die direkte De- mokratie in der Schweiz besonders stark ausgebaut. Neben Initiativen und Referenden kennen viele die Institution der Gemeindeversammlung, dank der sich Bürgerinnen und Bürger nieder- schwellig an der Gemeindepolitik betei- ligen können. Doch die direkte Demo- kratie und die damit verbundenen, oft relativ langen Entscheidungswege füh- ren zu gewissen Abnützungserschei- nungen – sowohl in der Exekutive als auch in der Bevölkerung. Viele Gemein- den haben deshalb in den vergangenen Jahren in zusätzliche Beteiligungsmög- lichkeiten investiert und organisieren unterdessen regelmässig Bürgerwork- shops, Zukunftskonferenzen oder Grup- pendiskussionen. Ein Kristallisationspunkt Ebnat-Kappel im Toggenburg hat im vergangenen Oktober eine Zukunfts- werkstatt organisiert, an der sich rund 60 der insgesamt circa 5000 Einwohne- rinnen und Einwohner Gedanken über die Entwicklung der Gemeinde gemacht haben. Um die Diskussion nicht zu be- einflussen, hielt sich der Gemeinderat dabei bewusst zurück und nahm ledig- lich eine Beobachterrolle ein. Geführt und moderiert wurde der Anlass von zwei Experten des Instituts für Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Gallen. «Sich zurückzuhalten, war manchmal gar nicht so einfach», sagt Gemeinde- präsident Christian Spoerlé. «Insbeson-

Christian Spoerlé, Gemeindepräsident von Ebnat-Kappel.

Bilder: zvg

Spoerlé. Deshalb will Ebnat-Kappel künftig, neben klassischen Kommunika- tionsmitteln wie dem Gemeindeblatt oder Informationsveranstaltungen, auch über soziale Medien informieren und den Kontakt mit der Bevölkerung auf- nehmen. Grundsätzlich wertet es Spo- erlé aber positiv, dass die Vorstellungen der Bevölkerung und des Gemeinderats doch nicht so weit auseinanderliegen wie oftmals gedacht wird. Gemäss Spoerlé wurde an der Zukunfts- werkstatt offen und lebhaft debattiert. Und auch wenn es hie und da mal etwas lauter und energischer wurde, war der Dialog stets konstruktiv. Auch die Rück- meldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind positiv. «Politische Diskussionen sind an solchen Anlässen respektvoller als beispielsweise an ei- nem Stammtisch», sagt Elisabeth Scher- rer. Für sie zeigt das Vorgehen der Ge- meinde, dass sie sich weiter öffnen will und den demokratischen Dialog mit der Bevölkerung aktiv sucht. «Noch vor zwölf Jahren hätte ich mir so einen An- lass hier nicht vorstellen können», erklärt die ehemalige Redaktionsleiterin der Toggenburger Nachrichten. Seit die Par- teienlandschaft im Dorf grösser gewor- den ist und seit dem Führungswechsel in der Gemeinde sei aber alles offener geworden, was der einzig richtige Weg sei. «Wenn eine Gemeinde einen sol- chen Bürgeranlass organisiert, dann

dere, wenn Aussagen nicht ganz richtig waren oder schlichtweg falsch.» Doch die Vorgehensweise habe sich bewährt. Nach einer ersten Analyse der aktuellen Situation kristallisierten sich in den Dis- kussionen zwei Themenschwerpunkte heraus: Wohnen im Alter (vgl. S. 22) und die Zentrumsgestaltung. Interessant ist dabei, dass die Vorschläge der Teilneh- merinnen und Teilnehmer zur Zent- rumsgestaltung sehr ähnlich sind, wie diejenigen, die der Gemeinderat bereits vor drei Jahren eingebracht hat, damit aber abgeblitzt ist. «Das hat uns gezeigt, dass wir offenbar unsere Kommunika- tion verbessern müssen», sagt Christian

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