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FINANZEN

zent» messen wir, inwiefern mit dem individuellen Aufgabenportefeuille der Gemeinde oder Stadt die finanzielle Leistungsfähigkeit und eine nachhaltige Verschuldungssituation gegeben sind. Die Finanzstrategie verstehen wir dabei als dem Gemeindeleitbild untergeord- neten Sektoralplan. Warum ist der Cashflow die geeignete Steuerungsgrösse für die kommunale Finanzpolitik? Der Cashflow, also die Selbstfinanzie- rung, ist von der Rechnungslegung nicht beeinträchtigt. Es handelt sich um eine transparente und auch verhältnismäs- sig einfach zu kommunizierende Steue- rungsgrösse: Ein Franken weniger Aus- gaben steigert den Cashflow um einen Franken. Aufgrund der drei Kennzahlen kann der konkrete Cashflowbedarf in ei- ner Zeitperiode berechnet werden. Jede getroffene Massnahme kann einfach in diesen Kontext gesetzt werden. Eine Er- folgskontrolle ist stets möglich. Die Gemeinde Urdorf hat mit dem PFSC gearbeitet.Welche Erfahrungen hat sie damit gemacht? Im Frühjahr 2015 hat der Urdorfer Ge- meinderat beschlossen, dass eine Fi- nanzstrategie zu erstellen ist. Die An- wendung des PFSC hat ergeben, dass nach Ablauf der Finanzplanungsperiode im Jahr 2019 die Verschuldung der Ge- meinde im Vergleich mit ihrer finanziel- len Leistungsfähigkeit um rund 3,5 Mil- lionen Franken zu hoch sein wird. In der Folge wurden im Rahmen der Phase 2 des PFSC 94 unternehmerische Hand- lungsempfehlungen erarbeitet. Diese enthalten typische Kostensenkungspro-

gramme, aber auch raumplanerische, soziale oder organisatorische Massnah- men. Die möglichen Massnahmen wur- den dem Gemeinderat präsentiert. Eine Steuerungsgruppe wird nun prüfen, welche Massnahmen politisch umsetz- bar sind. Der Gemeinderat von Niederrohrdorf – einer im Vergleich zu Urdorf kleineren Agglomerationsgemeinde im Kanton Aargau – hat sich ebenfalls entschieden, den PFSC als finanzpolitischen Rahmen zu nutzen. Dabei ist es gelungen, bei Exekutive und Legislative anhand der konkreten Kennzahlen eine gemeinsame finanzpolitische Zielvorstellung zu ent- wickeln. Der PFSC kann in grossen Städten und ebenso in kleinen Gemeinden ange- wendet werden. Die drei Kennzahlen sind universal gültig. Deren jährliche Berechnung kann innert ein paar weni- gen Minuten vorgenommen werden. Falls Handlungsempfehlungen erarbei- tet werden müssen, kann dieser Prozess in geraffter Form oder umfassend ange- gangen werden. Also genau so, wie es den Ressourcen der jeweiligen Ge- meinde oder Stadt entspricht. Welches sind dieVorteile des PFSC? Die finanzpolitische Führung mit den drei Kennzahlen des PFSC gewährleis- tet gleichermassen eine Reduktion der Komplexität sowie eine ganzheitliche Perspektive auf alle Elemente des Fi- Haben noch andere Gemeinden mit dem PFSC gearbeitet? Können auch kleinere Gemeinden den PFSC anwenden?

nanzhaushaltes. Die ökonomische Be- trachtung der öffentlichen Aufgaben erlaubt es, die Kernaufgaben einer Ge- meinde fokussiert zu halten. Führen mit Zahlen ist aber nicht primär eine struk- turelle oder prozeduale Thematik, son- dern viel mehr eine Frage der Kultur ei- ner Organisation und schliesslich der nachhaltigen Haltung. Es geht um die Beantwortung einer zentralen Frage:Wie ist das Bestmögliche für die heutige Ge- sellschaft zu erreichen, ohne ungerecht- fertigte Lasten auf nächste Generationen zu überwälzen? Sie schreiben in Ihrem Management Summary: «Bei einem übermässigen finanziellen Fokus besteht das Risiko, dass mittel- und langfristige Erfolgs- potenziale kannibalisiert werden» – was meinen Sie damit? In einer Organisation bestehen mehrere Steuerungsgrössen: Die kurzfristigste ist die Liquidität, gefolgt vom eigentlichen Erfolg. Mittel- und langfristig wird über bestehende und neue Erfolgspotenziale gesteuert. Eine zu übermässige Fokus- sierung von Politik und Verwaltung auf Liquidität und Erfolg kann die Erfolgs- potenziale vermindern. Beispielsweise gilt es abzuwägen, wie sich der Verzicht auf die Jugendarbeit aus finanziellen Überlegungen auf die Attraktivität der Gemeinde auswirkt. Informationen: Patrick Müller hat die Masterarbeit zum Thema «Public Finance-Strategy» zusammen mit Adrian Häfeli, Franz Peter und Roman Wigger verfasst. Kontakt: patrick.mueller@ urdorf.ch Interview: Philippe Blatter

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SCHWEIZER GEMEINDE 6 l 2016

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