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VOR DER GENERALVERSAMMLUNG DES SGV
Brugger wohl oder übel immer wieder ihren Nachbarn annähern. Die Voraus- setzungen für eine organische Entwick- lung der Stadt gestalteten sich nämlich immer schwieriger. Der Gemeindebann erwies sich schon im 19. Jahrhundert als allzu eng. Windisch reichte bis fast vor die Tore der Altstadt. ImWesten schränk- tenAltenburg und Umiken, imOsten die Gemeinde Lauffohr die Brugger Entwick- lungsmöglichkeiten ein. Bahnhof Brugg aufWindischer Boden Für jedermann sichtbar wurde dieser Umstand beim Bau des Bahnhofs. Da- mals auf Windischer Boden gebaut, er- hielt die Station doch den Namen «Brugg», was bis vor Kurzem zu einigen Auseinandersetzungen führte. 1864 er- zielten die Brugger unter nur teilweise geklärten Umständen eine namhafte Ge- bietsabtretung von Windisch, sodass sich der Bahnhof seither tatsächlich auf Brugger Grund befindet. Doch die Spannungen zwischen Brugg und Windisch hielten an, auch als sich Brugg durch Gemeindefusionen Schritt für Schritt vergrösserte. 1901 wurde Al- tenburg eingemeindet, 1970 Lauffohr, 2010 Umiken, und 2020 kommt noch Schinznach-Bad dazu. Eine Fusion mit Windisch wurde von progressiven Kräften jahrelang ange- strebt, scheiterte aber am Brugger Sou- verän. Zu verschieden seien die beiden Gemeinden, hiess es, zu gross der Men- talitätsunterschied, und das beinahe gebetsmühlenartig vorgetragene Argu- ment: Die Zeit ist noch nicht reif. In Tat und Wahrheit spielten finanzielleVoraus- setzungen die entscheidende Rolle. Brugg verfügt über ein stattliches Ver- mögen, während sichWindisch seit Lan- gem gegen allzu rote Zahlen zur Wehr setzt. Windisch sei eine «arme Braut» hiess es; eine Hochzeit könne so nicht gelingen. Selbst eine Fusion der Feuer- wehren scheiterte aufgrund finanzieller Argumente. Dabei übersah man, dass Windisch andere als monetäre Werte in diese Ehe mitgebracht hätte: Manche der bedeutendsten kulturellen Schätze unse- rer Region befinden sich aufWindischer Boden, so zahlreiche Zeugnisse aus der Römerzeit oder das Kloster Königsfelden mit seinen Glasfenstern von europäi- schem Rang. Längst zusammengewachsen Die Baufelder von Brugg und Windisch sind längst zusammengewachsen. Aus der Luft ist eine Grenze zwischen den beiden Gemeinden nicht auszumachen. Das vermeintlich «arme»Windisch ist eine Schatztruhe
Seit wenigen Jahren bildet das Campus- gelände mit der Fachhochschule ein star- kes Bindeglied. Hier scheint sich ein neues Zentrum zu bilden – das Zentrum der zukünftigen Gemeinde Brugg-Win- disch? Aufbruch zu neuen Ufern mit zwei Frauen an der Spitze? Anlass zu Hoffnung ergibt sich ferner aus der Person der Gemeindeführung. Seit wenigen Monaten leitet eine Frau die Geschicke der Stadt Brugg, und auch in Windisch liegt das Gemeindepräsi- dium in weiblicher Verantwortung. Be- merkenswert: Weder die Windischerin SVP-Frau Heidi Ammon noch die Grüne Barbara Horlacher aus Brugg sind «Iron Ladies» à la Margaret Thatcher. Die der grünen Partei angehörende Frau Stadtammann wirkt durch ihre gewin- nende Ausstrahlung ausgesprochen menschlich, und sie hat auch als frühere Umweltverantwortliche des Flughafens Basel-Mülhausen einen weiten Horizont. Und dieWindischer Gemeindepräsiden- tin verfügt als Hauswirtschaftslehrerin und Inhaberin eines Kochstudios über ausgesprochen vielseitige Kompeten- zen. Vielleicht gelingt nun, was Männer in langen Jahren nicht fertiggebracht haben: eine substanzielle, von gegensei- tiger Wertschätzung geprägte Annähe- rung und Vereinigung der beiden Ge- meinden, die sich nicht nur auf einige Sachbereiche wie etwa die Raumpla- nung beschränkt. Bruggs Exekutive ist nach links gerückt Die Zeichen dafür scheinen günstig zu sein, fand doch im Zusammenhang mit der jüngsten Stadtratswahl ein markan- ter politischerWandel statt. Die traditio- nell starke Rechte ist gerade noch mit einem FDP-Sitz im Stadtrat vertreten; zwei Vertreter der CVP, ein SP-Mann und die Grüne Barbara Horlacher bilden neu die Mitte-Links-Mehrheit. Erstaunlich, wenn man sich vor Augen hält, dass noch im letzten Viertel des 20. Jahrhun- derts eine äusserst fähige Stadtratskan- didatin der Grünen chancenlos blieb.
Barbara Horlacher, Frau Stadtammann von Brugg.
Heidi Ammon, Gemeindepräsidentin von Windisch. Bild: zvg
Peter Belart, Vorstandsmitglied des VereinsTourismus Region Brugg
* Zitate aus Max Baumann: Die Brugger Stadtbürger und ihre ländlichen Nachbarn; Brugger Neujahrsblätter 1986
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SCHWEIZER GEMEINDE 4 l 2018
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