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TATORT GEMEINDEPRÄSIDIUM

genossinnen und -genossen, andere Ratsmitglieder und Vorbilder, bei denen so das eine oder andere abgeschaut werden könne, seien wichtig, um in der Exekutive gewinnbringend wirken zu können. Der Berner schätzt auch den Austausch mit den Regierungsratsmit- gliedern von anderen Kantonen. Den Kaderleuten seiner Verwaltung ver- trauen, sich auf deren Fachkenntnisse verlassen zu können, sei ebenfalls unab- dingbar. AmMittag trifft sich derVolkswirtschafts- direktor mit einem Chef einer grossen Unternehmung des Kantons Bern. Sol- che Treffen sind ihm wichtig, um den Puls derWirtschaft zu fühlen. Um Krisen oder Trends frühzeitig genug erkennen und die richtigen Massnahmen treffen zu können. Persönliche Schicksale wie eine Krank- heit eines Mitarbeiters oder der massive

Stellenabbau einer Berner Firma lassen Christoph Ammann nicht gut schlafen. Aber daran ist auch noch lange nicht zu denken: Am Nachmittag bereitet er die kommende Regierungsratssitzung vor und führt zwei Mitarbeitergespräche. So wie geplant. Doch wenn er am Montag den Wochenplan studiert, «dann kann der bereits fünf Minuten später völlig überholt sein, weil unerwartete Aufga- ben angepackt werden müssen». An diesemTag imNovember ist das aber nicht der Fall. Alles läuft nach Plan: Znacht mit der Familie und dann ab zum Kegeln mit Freunden. ImAusgang werde er als Regierungsrat deutlich weniger angesprochen als in den Zeiten als Ge- meindepräsident. Weil er als «Präsi» oft nüchterne Ratschläge oder Schnap- sideen von seinen Mitbürgern anhören musste. «Es ist wohl der Respekt vor dem Regierungsamt sowie die räumli- che Distanz zwischen Bern und meinem Daheim im Hasli», schätzt Ammann. Wenn er heute nach Hause gehe, habe er kaummehr Akten mit imGepäck. Frü- her als Gemeindepräsident begann das Studieren der Akten erst nach Arbeits- schluss. Auch Sitzungen oder Erkundun- gen vor Ort, um Entscheidungen treffen zu können, hätten ausserhalb seiner of- fiziellenArbeitszeit als Lehrer und Rektor des Gymnasiums Interlaken stattfinden müssen. «Ganz ehrlich: Als Vater hätte ich das nicht auf die Dauer machen wol- len.» Wann macht der Regierungsrat heute eine Pause oder Urlaub? «Ich komme morgens in Bern an und bin dann unter Strom, bis ich nach Hause gehe.»Wie so oft liegt auch diesmal kein freies Wochenende vor ihm, am Sams- tag besucht der BernerVolkswirtschafts- direktor den Designertag in Langenthal. Der Urlaub wird frühzeitig geplant und richtet sich nach den Schulferien seiner Kinder. «In dieser Zeit fährt meistens der gesamte politische Betrieb etwas herun- ter, das ergibt Sinn.» Wann immer möglich nimmt der Sozial- demokrat auch an Parteitreffen teil. Die- ser Rückhalt sei wichtig. Dort gebe es zwar gelegentlich negative Kritik, aber auch mal ein Schulterklopfen, das moti- viere. Denn: «In der Exekutive zu arbei- ten, ist nicht wirklich gesund.» Gerade imMilizsystem bedeute ein solches Amt eine sehr grosse Belastung, die neben- beruflich erledigt werde. Da sei es sehr wichtig, erkennen zu können, wann die Last desAmtes die Gesundheit gefährde. Ohne sein intaktes Familienleben, die Rückendeckung und Unterstützung sei- Als Gemeindepräsident arbeitete er vor allem nach Arbeitsschluss

nes nächsten Umfeldes «könnte und möchte ich nicht Regierungsrat sein». Wie beurteilt der Berufspolitiker Am- mann, dass die Miliz-Exekutivmitglieder der Gemeinden meistens eine finanzielle Entschädigung erhalten, die ihren Auf- wand bei Weitem nicht deckt? «Milizar- beit muss angemessen entschädigt sein. Es geht aber bei unserem demokrati- schen System nicht nur um die Entschä- digung», betont der Berner. «Wir sind nicht nur Bürgerinnen und Bürger, die von politischen Entscheidungen betrof- fen sind. Wir können uns an diesen Ent- scheiden sehr direkt beteiligen, können mitgestalten, entscheiden und Verant- wortung für unsere Gemeinschaft über- nehmen. Das ist ein grosses Privileg.» Und: «Ich möchte nichts lieber machen, als Regierungsrat des Kantons Bern zu sein. Der Job ist nicht so gesund, macht aber glücklich.» Deshalb habe er auch keine anderen beruflichen Zukunfts- pläne – und die nächsten Regierungs- ratswahlen stehen erst in drei Jahren an.

Susanna Fricke-Michel

Steckbrief Christoph Ammann (1969) war von 1999 bis 2006 Gemeindepräsident von Meiringen (BE) und hauptberuf- lich Lehrer und Rektor am Gymna- sium Interlaken. Ab dem Jahr 2006 bis zu seiner Wahl als Regierungsrat 2016 war er Grossrat des Kantons Bern. Der Sozialdemokrat verdient wie seine Ratskolleginnen und -kolle- gen 275000 Franken brutto pro Jahr – Überstunden sind inbegriffen, es handelt sich um ein Vollzeitpensum. Der Berner weist darauf hin, dass sein steuerbares Einkommen nach allen Abzügen «deutlich unter 200000 Franken» liegt. Regierungsratsmit- glieder im Kanton Bern dürfen darü- berhinaus keine bezahlten Mandate annehmen. DerVolkswirtschaftsdirek- tor des Kantons Bern ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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SCHWEIZER GEMEINDE 12 l 2018

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